Geburtshaus von Einar Schleef im Kurzefeld 1b, jetzt Ewald-Gnau-Str.1b
Gertrud Schleef wohnte während des 2. Weltkrieges mit Einar Schleefs älterem Bruder Hans im Haus von Rechtsanwalt Gehrt (im folgenden Text: „Wehrt“) bei dessen Tochter Elly. Damals lautete die Adresse: Kurzefeld 1b, heute: Ewald-Gnau-Str. 1b. Nach 1964 diente das Gebäude als FDJ-Klubhaus. Einar Schleef wurde in dem auffälligen Klinkerbau geboren. Sein Vater überlebte den Krieg und baute das Wohnhaus in der Mogkstraße 24, in das die Familie 1949 umzog.
Geburtsanzeige Einar Schleef
Das Geburtshaus im Werk Einar Schleefs:
(Gertrud berichtet:)
Am Sylvesterabend 1943 ging ich gegen 17 Uhr mit einem 30pfündigen Sack Erbsen von meiner Mutter nach Hause, ich hatte sie für meine Schneiderarbeit erhalten und mit meinen Eltern geteilt. Als ich das Stiftsgut erreichte, es war sehr glatt, falle ich der Länge nach auf den Bauch. Hören und Sehen vergangen. Zum Glück half mir Herr Elbe hoch, der seinen Arbeitsdienst als Bäcker ableistete, wir kannten uns schon viele Jahre vom Turnverein, und brachte mich heim. Am 2.1. suchte ich die Ärztin auf: Sofort ins Bett. Am 17.1. bist Du geboren, sie und die Hebamme waren bei der Geburt anwesend, erfreut nach diesem Sturz einen so strammen Jungen zu sehen. Er hat eine richtige Hühnerbrust, sagte die Ärztin. Am 19.1. rief Vater von einer Dienstreise an, er mußte in Frankreich für die Laster Ersatzteile organisieren, ob ein Kind angekommen wäre. Die alte Frau Werth berichtete ihm, daß es ein Junge sei.
(Schleef, Einar, Gertrud, Suhrkamp-Verlag, Frankfurt am Main 1980, S. 410)
(Aus dem Fenster seines Klassenraumes in der Oberschule blickt der 19jährige Einar Schleef auf sein Geburtshaus auf der anderen Straßenseite:)
Aus der 11. sehe ich auf unsere allererste Wohnung, in der ich geboren bin, es ist ein großes, gelbes Haus gegenüber unserer Schule. Elly Werth besitzt es. Wir hatten die obere ganze Etage bewohnt, ehe wir in der Mogkstraße bauten. Elly Werth hatte uns rausgeschmissen. Ich kann mich noch an den großen Umzug erinnern. Ich lag in dem großen weißgelben Bett, das bei uns auf dem Boden steht, mit den herrlichen Stäben, über dem Bett große, warme Decken, da ich sehr krank war, ich weiß noch genau wie mein Bruder öfters die Decke hochhob und nach mir sah.
(Schleef, Einar, Tagebuch 1953 – 1963 Sangerhausen, Suhrkamp-Verlag, Frankfurt am Main 2004, S. 283)
Aus dem Fenster sehe ich auf unser damaliges Haus, wo wir wohnten. Kurzefeld 1b. Ich höre die Erzählungen meiner Mutter über dieses wunderbare Haus. Einmal möchte ich da noch mal rein, einmal in den gelben Turm zu Leiter und Dachluke, in den Turmunterbau, in den Garten. In den großen Garten. An fast alle Zimmer, die wir oder Kokolinos bewohnten, kann ich mich erinnern, an das Klo, an das von uns verschlossene Kinderzimmer, nicht mehr an den Dachgarten und Hans. Den Auszug weiß ich noch ganz genau.
(Schleef, Einar, Tagebuch 1953 – 1963 Sangerhausen, Suhrkamp-Verlag, Frankfurt am Main 2004, S. 295)
(Gertrud geht auf dem Weg von ihrer Freundin zur Mogkstraße am ehemaligen Wohnhaus vorbei:)
Links die Oberschule ohne Licht. Sie überquert das Kopfsteinpflaster vor dem FDJ-Klubhaus, in dem sie ihre Kinder geboren hat. Sie weiß gelber Klinker, die Vorgartenmauer, jetzt das Haus. Ein Fenster, noch eins, sie zählt. Vorsicht, die Treppe, bis auf den Bürgersteig vor. Das weiß ich noch. Wieder 2 Fenster, noch eins, der Turm. Ausweichen. Jetzt die Gartenmauer. Gegenüber die Oberschule. (…) Geht zurück, der breiten Eingangstreppe gegenüber. Unser Haus. 10 Stufen, rechts und links die dicken Sandsteinsäulen, rot, auf Sockeln. Dahinter versteckte sich Hans. Die schwere dunkle Eichentür. Was mußte ich ziehen. Die vergitterten Fenster. Der Löwenkopf auf der schwarzen Türklinke. Die abgegriffene Mähne. Die bronzierte 2 im oberen Querfeld. Nummer 2. Ja. Im Kurzenfeld Nr. 2. Über dem Klingelbrett ein Schild: Freie Deutsche Jugend Klubhaus Sangerhausen. Sie äugt zur ersten Etage. Alles dunkel. Zählt die Fenster. Haben die vorn was zugemauert. Die Küche, das Bad, das Herrenzimmer, das Schlafzimmer, das Balkonzimmer. Da fehlen 2, Trude geht zur Straße vor, die Fernverkehrsstraße ist besser beleuchtet. Auch noch Licht von der Energie. Tatsächlich 2 Fenster zugemauert. Das wurden später die Zimmer von Demelius. Die Balkontür auch zugemauert. Die geschwungene Eisentreppe zum Garten gesperrt, seltsam. Was die machen. Noch nicht gesehen. Auf Zehenspitzen. Der Hof abgetrennt, hatte ich früher die Wäschepfähle. Der Hof lag tiefer, konnte man von hier aus nicht einsehen, alles grün im Sommer, jetzt keine Staude, der Flieder abgehackt, nebenan wohnt Alban Heß, auch tot.
(…) Zurück, sie zählt nochmals die Fenster, bleibt am Turm stehen. Die Tür in der Ecke. Wie oft bin ich die Wendeltreppe hoch und runter. Da hatte ich keine Angst. Die verrostete Klinke. Die Gartentür auch zugemauert. Warum. Fräulein Werth teilte den Garten für die Mieter. Unser Dachgarten. Im Sommer. Ausgezogen liegen.
(…) Der Turmhelm. Da ist ne Fahne drauf. … Da war ein Wettergockel. Sehe das nicht. Eine Fahne. Die Jungen kletterten hoch, kratzten Grünspan vom Kupferdach. Da gabs aber Dresche.
(Schleef, Einar, Sangerhausen – Ostberlin, in: Mooskammer, Suhrkamp-Verlag, Frankfurt am Main 2003, S. 119 ff)
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